Selten hat es so viel Streit über Religion gegeben wie in der jüngsten Vergangenheit. Die Debatten um den Karikaturenstreit, um den neuen Atheismus in unserer Gesellschaft, um die Kritik der protestantischen Kanzlerin an kirchenpolitischen Entscheidungen des Papstes, um die Islamkonferenz des Bundesinnenministers und die Integration der Muslime, um die Moscheeneubauten in München, Köln und Duisburg und die Schaffung eines „Euro-Islam“, um das Scheitern des Volksentscheids für den Religionsunterricht in Berlin, um das Minarettverbot in der Schweiz, um das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Ladenöffnung an allen vier Adventssonntagen in Berlin sowie jüngst um die Missbrauchskrise der Katholischen Kirche: All diese zuletzt öffentlich ausgetragenen Kontroversen weisen darauf hin, dass Religion und Religionskritik mit Vehemenz in den öffentlichen Raum zurückgekehrt sind. Die Religionszugehörigkeit und Religiosität der Bürgerinnen und Bürger wird von Öffentlichkeit und Politik wenn nicht ausschließlich im Modus des Konflikts, so doch zunehmend in der Alternative zwischen politischer Konfliktverschärfung einerseits und gesellschaftlicher Koexistenz-, Integrations- und Kohärenzförderung andererseits wahrgenommen. Vor diesem Hintergrund stellt sich grundsätzlich die Frage nach der Vereinbarkeit religiöser und säkularer Überzeugungen mit dem Wertekanon der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.


Ziel des Vorhabens ist es, einen ersten Beitrag zur Etablierung einer empirischen Religionspolitologie zu leisten. Zu diesem Zweck wird auf der Grundlage der Religionspolitologie ein religionspolitologisches Befragungsdesign entwickelt, um darauf aufbauend Befragungen der Bevölkerung zu ihrer Wahrnehmung des Verhältnisses von Politik und Religion durchführen zu können.


Laufzeit: 01/2015 - 12/2019

Projektleitung: Dipl.-Soz.-Wiss. Peter Krumpholz







Projektteam



Kooperationen

Prof. (em.) Dr. Claus-E. Bärsch, Dietramszell



Detaillierte Projektbeschreibung

Selten hat es so viel Streit über Religion gegeben wie in der jüngsten Vergangenheit. Die Debatten um den Karikaturenstreit, um den neuen Atheismus in unserer Gesellschaft, um die Kritik der protestantischen Kanzlerin an kirchenpolitischen Entscheidungen des Papstes, um die Islamkonferenz des Bundesinnenministers und die Integration der Muslime, um die Moscheeneubauten in München, Köln und Duisburg und die Schaffung eines „Euro-Islam“, um das Scheitern des Volksentscheids für den Religionsunterricht in Berlin, um das Minarettverbot in der Schweiz, um das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Ladenöffnung an allen vier Adventssonntagen in Berlin sowie jüngst um die Missbrauchskrise der Katholischen Kirche: All diese zuletzt öffentlich ausgetragenen Kontroversen weisen darauf hin, dass Religion und Religionskritik mit Vehemenz in den öffentlichen Raum zurückgekehrt sind. Die Religionszugehörigkeit und Religiosität der Bürgerinnen und Bürger wird von Öffentlichkeit und Politik wenn nicht ausschließlich im Modus des Konflikts, so doch zunehmend in der Alternative zwischen politischer Konfliktverschärfung einerseits und gesellschaftlicher Koexistenz-, Integrations- und Kohärenzförderung andererseits wahrgenommen. Vor diesem Hintergrund stellt sich grundsätzlich die Frage nach der Vereinbarkeit religiöser und säkularer Überzeugungen mit dem Wertekanon der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.


Ziel des Vorhabens ist es, einen ersten Beitrag zur Etablierung einer empirischen Religionspolitologie auf der Grundlage des theoretischen Konzepts der Religionspolitologie zu leisten, um darauf aufbauend eine repräsentative empirische Befragung der Bevölkerung Deutschlands durchzuführen.


Die Entwicklung eines Konzepts der empirischen Religionspolitologie dient der Aufgabe, Antworten auf u.a. folgende aktuelle Fragen zu finden:


Fragefeld 1:Religiöse oder (vermeintlich) areligiöse Existenzdeutungen des Menschen


Welche Formen des Glaubens und der Säkularität gibt es und wie verbreitet sind sie?


Überwiegen heute innerweltliche oder außerweltliche, inklusiv-universale oder exklusive Glaubensformen? Glaubt man eher an die Gleichheit der Menschen, Kulturen und Gesellschaften vor Gott oder überwiegen national- oder völkisch-religiöse Glaubensformen? Wie verbreitet sind anthropomorphe, soziomorphe oder physiomorphe Formen von Religiosität? Nehmen Phänomene der Selbstvergottung, der Divinisierung der Gesellschaft und naturalisierte Gottesvorstellungen zu oder überwiegen transzendente Gottesvorstellungen?


Wie verbreitet sind Transzendenzskepsis, Areligiosität oder gar Anti-Religiosität?


Welche Grundformen von Säkularität gibt es heute? Steht eher der Mensch, die Gesellschaft oder die Natur im Mittelpunkt säkularer Überzeugungen?


Fragefeld 2: Religiosität und das Bewusstsein von gesellschaftlicher Ordnung sowie Religiosität und das Bewusstsein von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Menschen


Welche politischen Wertevorstellungen korrelieren mit verschiedenen Glaubensformen und säkularen Weltdeutungen? Welche Gemeinsamkeiten und welche Unterschiede gibt es? Welche Unterschiede im Hinblick auf politische Einstellungen und Ziele sind zwischen Juden, Muslimen, Christen, Postkonfessionellen und Säkularisten feststellbar?


Welche gesellschaftspolitischen Güter- bzw. Werteorientierungen dominieren: wirtschaftliche, soziale, politische oder religiöse? Werden Prioritäten und Rangordnungen inklusiv oder exklusiv gesetzt? Werden Pluralität, Eigenständigkeit sowie Relativität verschiedener Werte berücksichtigt oder nicht? Ist eine im Geiste der pluralen Werte der Verfassung gelebte und diese tragende Kultur vorherrschend oder besteht die Gefahr eines ökonomischen (oder sozialen etc.) Reduktionismus oder eines religiösen Fundamentalismus? Wird die relative Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der politischen Sphäre von Gläubigen anerkannt? Werden wirtschaftlicher Wohlstand und Sicherheit als materielle Grundlage und Basis für ein politisch selbstbestimmtes und religiös freies Leben erstrebt oder besteht die Gefahr, dass das Streben nach geistigen Werten und Bildung dem Streben nach materiellem Wohlstand und Besitz untergeordnet wird? Werden bei einer idealistischen Güterorientierung die materiell-ökonomischen Werte ausgeschlossen oder werden diese nur zurückgestuft, ohne dass deren Eigenständigkeit aufgehoben wird?


Inwiefern sind einerseits religiöse, andererseits säkulare Überzeugungen mit dem Wertekanon der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar? Führt der Glaube zum Werterelativismus und Areligiosität zur Verabsolutierung spezifischer Werte, oder vice versa? Ist der muslimische Glaube mit dem Grundgesetz vereinbar oder verstößt er gegen den Gleichheitsgrundsatz von Mann und Frau?


Erhöhen die Pluralisierung, Differenzierung und Fragmentierung der Religionen eher das Koexistenz- oder Konfliktpotential unter Gläubigen und zwischen ihnen und Säkularisten? Welchen Einfluss haben postkonfessionelle Formen der Religiosität auf die politischen Einstellungen der Bürger?


Gibt es eine Marginalisierung der Volks- bzw. etablierten Kirchen? Führt Glaubensverlust zu gesellschaftlicher Entsolidarisierung, zu Individualismus und Egoismus oder zu Kollektivismus und Naturalismus? Führt die Geltungskrise der christlichen Kirchen über eine Pluralisierung der Religion zur Entstehung einer neuen Zivil- oder Bürgerreligion in Deutschland?


Sind die typischen Spaltungslinien in unserer Gesellschaft im Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger eher nach der Unterscheidung säkular und religiös oder sozial und ökonomisch kodiert? Werden die politischen Konflikte der Zukunft eher als religiös, sozial oder ökonomisch bestimmt wahrgenommen? Besteht nach Meinung der zu Befragenden die Gefahr, dass es zu Konflikten zwischen Säkularisten und Fundamentalisten kommt?


Wie verbreitet sind national-religiöse Vorstellungen unter verschiedenen Konfessionen und Glaubensrichtungen? Sind Zusammenhänge zwischen national-religiösem Extremismus und säkular bedingter Fremdenfeindlichkeit und Islamophobie feststellbar?


Wie verbreitet sind Dispositive zur Gewaltbereitschaft in den verschiedenen Glaubensformen einerseits und den säkularen Überzeugungen andererseits? Steht uns ein neuer Kulturkampf zwischen laizistischen Scharfmachern und religiösen Eiferern bevor? Neigen eher Anhänger monotheistischer Religionen zur Gewalt oder eher Religiöse postkonfessioneller Prägung? Wann schlägt religiöser Fundamentalismus um in politische Gewalt? Führt in der Wahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger eher die Religion oder eher der Laizismus zu Gewalt? Führt religiöse Vielfalt zu einem Krieg der Religionen?


Welche Formen von politischer Religiosität gibt es? Sind diese eher konfessionell oder postkonfessionell bedingt? Begünstigt die Entkirchlichung und Enttheologisierung die Entwicklung „politischer Religionen“, wie wir sie aus dem vorigen Jahrhundert kennen? Oder verhindern Volkskirchen Konkurrenz? Geraten die neuen postkonfessionellen Formen von Religiosität in Konflikt mit dem Grundgesetz oder führen sie zur Ausbildung einer Zivilreligion oder transkonfessionellen Bürgerreligion, die die Werteordnung einer demokratischen Gesellschaft stabilisiert?


Inwieweit folgt die Politik dem gesellschaftlichen Wandel religiöser und säkularer Überzeugungen einerseits und den aus Religiosität bzw. Säkularität abgeleiteten Wertvorstellungen der Bürger andererseits in ihrem Handeln?


Kommt es zu einer Rekonfiguration der Politik entlang von religiösen Differenzen?


Steht uns ein Rekurs auf das christliche Abendland bevor? Gibt es überhaupt politische Herrschaftsansprüche der Religiösen?